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Spinoza Titel

Prinzip und Prinzipatum

Spinozas Philosophie begeht den Fehler aller idealistischen Philosophie, die aus einem Prinzip alles Folgende entwickeln will. Gott ist causa prima aller Dinge, die Objekte des Verstandes sein können (I, Lehrsatz 16; S. 21). Aus dieser causa prima soll die ganze Welt herausgeklaubt werden, nicht als Schöpfungsakt wie in der christlichen Theologie, sondern als ständiger Wandel der ewigen Substanz – aus einem Prinzip folgt aber nur dann ein Prinzipatum, wenn dieses schon vorhanden ist. Kein Prinzipatum ohne Prinzip und kein Prinzip ohne vorausgesetztes Prinzipatum, beide sind Reflexionsbegriffe, die einander bedingen. Wenn überhaupt, geht das Prinzip aus dem Prinzipat hervor. Erst in einer systematischen Darstellung erscheint es so, als ginge das Prinzipatum aus dem Prinzip hervor.  

Ein Prinzip ist ein Erstes und zugleich als Prinzip ein Abstraktions- oder Reflexionsprodukt des Denkens. Aus einem Prinzip kann nichts Bestimmtes herausgeholt werden als seine abstrakte Bestimmtheit selbst. Als Prinzip regiert es einen Zusammenhang von Dingen, die nicht aus ihm als Abstraktionsprodukt sich folgern lassen, sondern eine vom Prinzip verschiedene Begründung ihres Seins bedürfen. So folgt aus den Keplerschen Gesetzen nicht, wie viel Planeten das Sonnensystem hat. Da das Prinzip den Zusammenhang von Dingen eines Bereichs organisiert oder regiert, schließt der Idealismus aller Richtungen, die Dinge als das Prinzipatum folgten aus dem Prinzip. Tatsächlich wird ein Prinzip dadurch gerechtfertigt, dass es das Prinzipatum bestimmt; und das Prinzipatum ist deshalb ein einheitliches Ganzes, weil es durch ein oder mehrere Prinzipien organisiert wird. Existenziellen Vorrang hat aber immer das Prinzipatum vor dem Prinzip, auch wenn es in der systematischen Darstellung so erscheint, als würde das Prinzipat aus dem Prinzip folgen. So lässt sich aus einer Anzahl von Axiomen und Postulaten (zusammen die Prinzipien) die Euklidische Mathematik entwickeln – aber tatsächlich ist das Material dieses mathematischen Denkens Voraussetzung, es nach Axiomen und Postulaten zu entwickeln. Für Spinoza folgt aus der allgemeinen Substanz, das Prinzip der Welt, alles Seiende. Das ist das proton pseudos  (erster oder Hauptfehler) aller idealistischen Philosophie, die aus Einem die Vielheit, aus dem Prinzip das Prinzipatum, aus dem Absoluten das Konkrete, aus dem Abstraktionsprodukt die verschiedenen und unterschiedenen Bestimmtheiten herausklaubt.

 

Kritik des Falschen als bloßes Nichts

Die spinozaische Substanz soll keine Negation in sich enthalten, wird aber in sich in Attribute und Modi unterschieden, jede Unterscheidung aber ist Negation (vgl. etwa: Der Modus Peter ist nicht der Modus Paul.). Im Übrigen unterscheidet Spinoza einzelne Körper zumindest in ihrer Quantität, also ist die res extensa als ein Attribut Gottes in sich mit der Negation behaftet. Spinoza fasst die Negation als bloße Abwesenheit auf, so die Falschheit als bloße Abwesenheit der Wahrheit wie die Finsternis als Abwesenheit des Tageslichts ist. Negation ist aber immer auch bestimmte Negation, d.h. eine Negation, aus der ein Positives folgt – aus einem Nichts kann aber nichts Positives folgen. In Bezug auf den Wahrheitsbegriff heißt bestimmte Negation: Das zu negierende Falsche ist nicht nur Nichts, nicht nur die Schlacke, die von der Wahrheit entfernt wird (Hegel), sondern gehört wesentlich zur Wahrheit dazu. So ist nach einem Beispiel von Peter Bulthaup die Alchemie die Voraussetzung der wissenschaftlichen Chemie. Die Misserfolge der Alchemie (z.B. beim Goldmachen) haben die Regeln des wissenschaftlichen Experimentierens hervorgebracht. Durch diese bestimmte Negation der falschen Experimentierweise ist diese aber nicht im Orkus der Wissenschaftsgeschichte verschwunden, bestenfalls nur von antiquarischem Interesse, sondern in jeder wissenschaftlichen Regel des Experimentierens muss sie als zu vermeidender Fehler immer noch bewusst sein. In der wissenschaftlichen Chemie ist die Alchemie als das Falsche aufgehoben und als Gedanke anwesend. Spätestens in der Reflexion eines misslungenen Experiments wird die Unkenntnis des Falschen, das man aus Unkenntnis deshalb ständig wiederholen muss, schmerzlich erfahren. (Vgl. Bulthaup: Naturwissenschaften, S. 62 ff.)

Jede neue Erkenntnis, soweit sie noch kein gesichertes Wissen ist, fängt als verworrene an, diese als bloße Abwesenheit der Wahrheit oder als nicht in das rationalistische Schema der Kategorien passend abzutun, verhindert den wissenschaftlichen Fortschritt. „(…) in der That, wird die Negation als bloße Abwesenheit gefasst, so gibt es kein Werden, denn das Werden hat zu seiner Bedingung, oder zu seinem Moment, die Negation, die zugleich Position enthält, indem das Werden der reale Widerspruch ist.“ (Erdmann: Geschichte II, S. 89)

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Kritik der Kategorienlehre

Spinoza hat die wissenschaftliche Regel, die Erscheinungen von ihren gesetzmäßigen Ursachen her zu erklären, nicht von den Erscheinungen auf die Ursachen zu schließen, derart rationalistisch überhöht, dass sie teilweise absurd wird. Dies macht er, indem er den Wissensstand seiner Zeit in Form der Kategorien als ontologischen hypostasiert, dadurch scheinbar absichert und so neue empirische Ergebnisse, die den als gesetzmäßig angenommenen Ursachen widersprechen, als belanglos, Irrtum, inadäquat oder verworren ablehnt, wie Charlie Chaplin, der die Ärmel usw., die nicht in den Koffer passen, einfach abschneidet, nur um ihn schließen zu können.

Die Kategorien und „Gemeinbegriffe“ sind geronnenes traditionelles Wissen, das von Spinoza hypostasiert wird und das nicht änderbar ist – gerade die Kritik an den ewigen Wesenheiten war aber ein Grund für den Nominalismus, sie abzulehnen. Kategorien sind bloße Reflexionsprodukte, nicht Weisen des Seienden. Sie sind Aussageweisen, nicht Seinsweisen - das ist das Resultat der nominalistischen Kritik an den ontologisch bestimmten Universalien. Als Reflexionsprodukte bedürfen sie allererst der Begründung, um sie rational anzuwenden, nicht bloß ihre Behauptung als Gottes Gedanken, an denen wir nur partizipieren können. Spinoza entnimmt die „Gemeinbegriffe“ der Tradition, ohne sie zu begründen, ohne sie abzuleiten, lediglich ihre innere Stimmigkeit wird (gegen Descartes) reflektiert. Seine Philosophie fängt sozusagen wie aus der Pistole geschossen mit Definitionen, Lehrsätzen und Axiomen an, ohne dass diese von dem folgenden Gedanken stringent gerechtfertigt würden (siehe Kritik der Modi).

Die im Nominalismus Ockhams erreichte Selbständigkeit der menschlichen Subjektivität bei der Erkenntnis wird von Spinoza unter der Voraussetzung der modernen Philosophie seit Descartes wieder zurückgenommen. Die Wahrheit ist aber nicht nur etwas Objektives und Notwendiges, sondern auch Subjekt. Sie ist nicht nur kategorial bestimmt, sondern immer auch durch Anschauung empirischer Dinge, sinnliche Wahrnehmung und Erfahrung. In Bezug auf die im Nominalismus erkannte Selbstständigkeit der menschlichen Subjektivität ist Spinozas ontologische Erkenntnistheorie reaktionär. Sie erweist sich als eine gigantische Hypostasierung von Reflexionsbestimmungen.

Bevor wir etwas Konkretes erkennen, müssen wir in uns apriori Begriffe (Kategorien) haben, mit denen wir die sinnlichen Wahrnehmungen zu Anschauungen und Vorstellungen und schließlich zu Begriffen organisieren. Diesen Gedanken verabsolutiert der Rationalismus Spinozas, indem er die sinnliche Erkenntnis und die daraus entwickelte Erfahrung als Zusammenfassung sinnlicher Wahrnehmungen abwertet (vgl. Spinoza: Ethik, S. 87), um das Erkennen mittels der Kategorien bzw. Gemeinbegriffe als einzig adäquates zu behaupten. Abgesehen davon, dass ohne sinnliches Material die Kategorien nur sich selbst denken könnten, stellt sich die Frage, woher diese Kategorien und Gemeinbegriffe kommen? Spinozas Antwort, sie gehörten zum Wesen der menschlichen Seele, insofern sie Teil des göttlichen Verstandes sei, kann nicht befriedigen, da dies eine bloße Behauptung ist, die auf Grund der Aporien seiner Ontologie auch nicht begründbar ist.

Tatsächlich sind die Kategorien ursprünglich aus der Realität bzw. menschlicher Deutungsweisen der Realität erschlossen, ein Gedanke, der in der Tradierung dieser Kategorien verloren ging, sodass sie als eingeborene Ideen oder als göttlichen Verstand in uns verselbständigt werden konnten. Als entfremdetes Produkt der Tradition aber sind sie der Reflexion durch das theoretische Selbstbewusstsein enthoben, zu erstarrten Gebilden geronnen. Die Erkenntnis des tatsächlichen Ursprungs der Kategorien kann sie dagegen aus ihrer Petrifizierung lösen und der rationalen Reflexion zugänglich machen.

K. W. Schmidt hat nachgewiesen, dass Aristoteles seine Kategorien aus der Reflexion des Rechts und der Rechtspraxis der Polis Athen gewonnen hat, also aus Phänomenen, die bereits durch Bewusstsein vermittelt sind. Diese Kategorien sind deshalb nicht empirisch, wie Locke später behaupten wird, wohl aber sind sie ohne Wissenschaft, die auch eine empirische Grundlage hat, überhaupt nicht denkbar. (Vgl. Schmidt: Polis, S. 85 ff. und passim)

Eine andere rationale Begründung gibt Kant, indem er die Kategorien als Bedingung der Möglichkeit von wahrer Wissenschaft (Newtonsche Physik, Mathematik) („transzendental“) erweist und auf das gesamte Denken verallgemeinert. So verstanden sind sie der rationalen Reflexion und Verbesserung fähig und nicht hypostasierte Produkte der philosophischen Tradition wie bei Spinoza.

 

Kritik eines fehlenden Begriffs vom Selbstbewusstsein

Erdmann charakterisiert das spinozaische System durch Wertungen wie Starre, unlebendig, es habe „kein Selbstbewusstsein, welches ohne den Gegensatz nicht denkbar ist“ (ebda.) im Widerspruch zum behaupteten und unterstellten Selbstbewusstsein an einigen Stellen (vgl. z.B. Spinoza: Ethik, S. 76). Ein Selbstbewusstsein setzt „als negative Beziehung auf sich selbst“ einen anderen Begriff der Negation voraus, denn, wenn das Selbstbewusstsein als „Idee der Seele, das heißt die Idee der Idee“ (a.a.O., S. 76) sich vom bloßen Bewusstsein unterscheidet, dann wäre die abstrakte Negation des Bewusstseins ein Selbstbewusstsein von nichts, ohne einen Inhalt. Nur als bestimmte Negation, die Spinoza ausschließt, hat das Selbstbewusstsein einen Inhalt: Das Selbstbewusstsein unterscheidet sich vom Bewusstsein (Negation), als bestimmte Negation enthält das Selbstbewusstsein (Bewusstsein vom Bewusstsein) aber dieses bloße, unreflektierte Bewusstsein als seinen Gegenstand in sich und ist dadurch reflektiertes Bewusstsein, das „Ich denke, das alle meine Vorstellung muss begleiten können“ (Kant). Indem Spinoza eine Philosophie entwirft, d.h. ein Selbstbewusstsein über seine Gegenstände  hat, aber nur die abstrakte Negation kennt, widerspricht sich seine Philosophie selbst.

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Zur Problematik des Systemgedankens

 Logisch zwingend ergibt sich aus dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, ohne den rationales Denken und Verständlichkeit überhaupt unmöglich sind, der Zwang zur systematischen Argumentation (die auch den Gedanken der Genesis, wie begründet, einschließt). Will man nicht in partikularen Zusammenhängen verharren, die zu Widersprüchen zwischen diesen führen müssen, dann folgt daraus die Forderung, die Welt als philosophisches System zu konstruieren. Dies gilt vor allem für die Gegenwart, wo der Kapitalismus als System die gesamte Tätigkeit der Menschheit beherrscht und sein Wertgesetz ubiquitär wirkt. Aber die gesamte Welt bzw. die Bestimmungen von ihr in einem System zu begreifen, muss zu den Aporien des Systemgedankens führen, wie er sich bei Spinoza zeigt. Da es nach Spinoza auch den Schein gibt, verworrene Vorstellungen, unbegreifliche vergängliche Dinge, inadäquate Ideen usw., kann das philosophische System nicht die Totalität erfassen – was im Widerspruch zu seinem Anspruch steht. Das System muss das Nichtidentische, Zufällige, die Willkür des Menschen, die sich nicht rational fassen lassen, als Vorhandenes aber auf den Einzelnen und das Ganze einwirken, leugnen, zugleich aber als Vorhandenes zugestehen. Indem Spinoza Reflexionsbestimmungen der Tradition hypostasiert und mit diesen ein System von Vernunftbestimmungen mittels seiner „geometrischen Methode“ konstruiert, schneidet er das philosophische Denken von der empirischen Entwicklung der Frühneuzeit ab, lässt nur das bereits philosophisch Approbierte zu. Dennoch bleibt die Forderung bestehen, soweit systematisch, wie es die Erkenntnisse ermöglichen, die Welt begrifflich zu erfassen, denn ohne diese Forderung müsste das Denken Widersprüche eingehen, die es als rationales zerstören würden – was heute eine durch partikulare Interessen geleitete Philosophie intendiert. (Vgl. die Kritik an Zion, Seibert, Habermas, Derrida u. a. in dieser Ausgabe der Erinnyen.)

„Ohne die Idee der Totalität, die in den rationalistischen und idealistischen Systemen unzulänglich konzipiert war, kann diese Kritik (an der Gesellschaft als Ganzer, B.G.) gar nicht auskommen. Alle authentische Philosophie der Tradition wollte die integrale Vernunft, die ihr hinterrücks zum partikularen Herrschaftsinstrument verkam.“ (Mensching: Spinoza, S. 10) Bei Spinoza äußert sich die „integrale Vernunft“, die „zum partikularen Herrschaftsinstrument verkam“ in seiner Ethik und Staatsphilosophie, die zwar die beginnende Emanzipation des Bürgertums fördern will, letztlich aber auf Anpassung an den Weltlauf ausgerichtet ist, der in der bürgerlichen Welt nicht nur zu der Befreiung des Individuums von feudalen Fesseln führt, sondern neue Herrschaftszwecke des Kapitals etabliert hat.

d’Alembert hat den Gedanken, dass wir systematisch denken müssen, aber kein System der Welt als Ganzes möglich ist, da dies immer auf einen Idealismus hinausläuft, in dem das Nichtidentische negiert oder abgewertet wird, in die Bestimmung vom esprit systematique gebracht, der aber kein esprit de système werden darf. „Der Systemgeist bedeutet für die Naturwissenschaft dasselbe wie die Metaphysik für die Geometrie. Er ist zwar notwendig, um den richtigen Weg zu weisen, vermag uns jedoch fast nie aus sich selbst zur Erkenntnis zu führen. Seine aus der Naturbeobachtung gewonnenen Kenntnisse lassen ihn die Ursachen der Naturerscheinungen zwar vermuten: aber der Beweis des Vorhandenseins solcher Gründe bleibt der Berechnung vorbehalten, die genau ihre möglichen Wirkungen bestimmt und diese wieder mit den anderen vergleicht, die wir durch praktische Erfahrung gewonnen haben.“ (d’Alembert: Einleitung, S. 83)

 

Zur Problematik der „geometrischen Methode“ (more geometrico)

Im 17. und 18. Jahrhundert galt die geometrische Methode für viele Rationalisten, insbesondere Spinoza, als einzig wissenschaftliche Methode der Darstellung eines Systems der Philosophie. Dies hatte seinen Grund in dem schon in der Antike gültig präsentierten System der euklidischen Mathematik und den ersten Erfolgen der modernen Naturwissenschaften, die spätestens seit Galilei auf der mathematischen Fassung physikalischer Erkenntnisse beruhten. So enthält die erste gültige Fassung der fundamentalen Sätze der Geometrie in den „Elementen“ Euklids Definitionen, Axiome und Postulate, aus denen dann das mathematische Wissen systematisch abgeleitet und begründet wird. (Vgl. Becker: Mathematik, S. 87 ff.) Ebenfalls entwickelt Newton in seinen „Mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie“ aus Definitionen und Axiomen seine Physik der Mechanik (vgl. Newton: Naturphilosophie, S. 37 ff. und S. 53 ff.), die bis heute wahrer Lehrstoff jedes Physikstudiums geblieben ist.

Spinoza folgt dieser Methode, schon im Titel weist er auf die „geometrische Methode“ hin. Er beginnt mit einer Reihe von „Definitionen“, geht zu den „Grundsätzen“ über, die durch Lehrsätze differenziert werden, und beweist diese Lehrsätze, indem er auf die Definitionen, Grundsätze oder andere Lehrsätze verweist.

Dieses geometrische Verfahren ist in der Philosophie nicht akzeptabel. Auch wenn Newtons Physik der Mechanik den Titel „Naturphilosophie“ führt, ist es eine Einzelwissenschaft (oder, wenn sie noch nicht aus dem Korpus der Philosophie sich herausgelöst hat, eine einzelne Disziplin der Philosophie mit einem eng umgrenzten Gegenstand). Als Einzelwissenschaft kann sie sich Prinzipien und einzelne Erkenntnisse aus anderen Wissenschaften, soweit sie gesichertes Wissen haben, erborgen und zur eigenen Voraussetzung machen. So sind schon die logischen Formen, auch Begriffe wie ‚Prinzip’, ‚Axiom’ usw., ebenso Bestimmungen wie Allgemeines, Besonderes und Einzelnes jeder Einzelwissenschaft vorausgesetzt. Die Philosophie jedoch als Grundlagenwissenschaft und Totalitätswissenschaft kann keine Begriffe aus anderen Wissenschaften unreflektiert übernehmen, sie muss alle Begriffe, die ihr zugrunde liegen, direkt oder indirekt beweisen, begründen oder reflektieren und sich Rechenschaft über ihre Verwendung geben.

Bei Spinoza jedoch werden Begriffe wie Gott, Substanz, Attribut, Modus usw. bloß behauptet, indem er anfangs einfach Definitionen gibt. Er rechtfertigt Lehrsätze, indem er auf diese unbegründeten Bestimmungen verweist. Man weiß nicht, woher diese Begriffe kommen, warum er sie einführt. Selbst wenn man sie als Konsequenzen aus den Aporien der cartesischen Lehre erkennt, so ist diese Erkenntnis ein Zutun des Lesers, nicht selbst von Spinoza entwickelt (jedenfalls kaum im Hauptwerk der „Ethik“). Wenn man Definitionen und Grundsätze gibt, dann sind dies zunächst Nominaldefinitionen, ob sie etwas Wahres enthalten, muss erst bewiesen werden – diesen Beweis bleibt Spinoza jedoch schuldig.

„Die ganze Spinozistische Philosophie ist in diesen Definitionen enthalten; dies sind aber allgemeine Bestimmungen und so im ganzen formell. Das Mangelhafte ist, daß er so mit Definitionen anfängt. In der Mathematik lässt man es gelten, die Definitionen sind Voraussetzungen; Punkt, Linie werden vorausgesetzt. In der Philosophie soll der Inhalt als das an und für sich Wahre erkannt werden. Einmal kann man die Richtigkeit der Nominaldefinition zugeben, so daß das Wort ‚Substanz’ dieser Vorstellung entspreche, welche die Definition angibt. Ein anderes ist es, ob dieser Inhalt an und für sich wahr sei. Solche Frage macht man bei geometrischen Sätzen gar nicht. Bei philosophischer Betrachtung ist dies aber die Hauptsache. Das hat Spinoza nicht getan. Er hat Definitionen aufgestellt, welche diese einfachen Gedanken erklären, als Konkretes darstellen. Aber das Erforderliche wäre gewesen, zu untersuchen, ob dieser Inhalt wahrhaftig wäre.“ (Hegel: Vorlesungen, S. 172)

Da aller weitere Inhalt der spinozaische Philosophie auf den ersten Definitionen, Grundsätzen und Lehrsätzen fußt, ist auch dieser weitere Inhalt nicht begründet. Das heißt nicht, alles, was folgt, wäre falsch, aber in dieser Philosophie ist es nicht als wahr begründet und deshalb bestenfalls problematisch wie alle bloß behaupteten Sätze, denen eine sachliche Begründung mangelt. Bei Spinoza kommt hinzu, dass er alle seine Aussagen „beweisen“ will, indem er auf die ersten Definitionen und Grundsätze verweist, die selbst nicht bewiesen sind. Dadurch entsteht ein Formalismus, der das Lesen ermüdet, weil er doch nur bis zur Übereinstimmungen von Sätzen führt, deren Gehalt zwar behauptet, aber nicht geklärt ist, ein Formalismus also, der in einer leeren Kombinatorik verharrt.

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Kritik an Spinozas Lehre von der Sinnlichkeit

Spinozas Lehre von der Sinnlichkeit, nach der die Sinne eine bloß verworrene Vorstellung der Dinge geben, ist nicht haltbar. Zwar sind die Wahrnehmungen von den stets wechselnden Dingen nicht von vornherein unter dem Gesetz der Widerspruchsfreiheit, aber auch die metaphysischen Begriffe basieren, wenn nicht auf sinnlicher Erfahrung, so doch auf bereits objektiviertem Wissen, das auf sinnlicher Erfahrung beruht, von dem die Kategorien erschlossen sind. (Siehe „Kritik der Kategorienlehre“)

Die Geometrie, die das Vorbild der geometrischen Methode abgibt, ist als Wissenschaft eng mit den sinnlichen Dingen verbunden, auf die sie angewandt wird und von deren Anschauungen sie ihren Ausgangspunkt nahm, auch wenn sie dann als reine Geometrie, d. i. die Wissenschaft der Geometrie, nicht mehr konkrete Vorstellungen der äußeren Sinne enthält. So wendet Euler gegen den Rationalismus ein, dass die Geometrie „die treueste Auslegerin aller Phänomene der Natur“ ist (zitiert nach Cassirer: Erkenntnis II, S. 633), dass also von der Natur auszugehen sei und die Mathematik nur ein Hilfsmittel der Naturerkenntnis sei. Der Rationalismus dagegen geht von diesen Erfolgen der modernen Naturerkenntnissen aus, abstrahiert von der zugrunde liegenden sinnlichen Erfahrung (Experiment) und verabsolutiert die mathematische Seite der Erkenntnis oder hypostasiert sie zur eigentlichen ontologischen Wahrheit wie Spinoza.

So wie die Spontaneität des erkennenden Subjekts in der gültigen Erkenntnis erloschen, nicht erkennbar ist, sodass Spinoza von der subjektiven Leistung bei der Erschließung der Wahrheit abstrahieren kann, so sind auch das Experiment und die Erfahrung in den Resultaten der Naturwissenschaft nicht mehr explizit anwesend, sodass er auch hier von der Leistung der sinnlichen Erfahrung bei der Erkenntnis abstrahieren kann. Beides führt in der Tendenz zu einem fetischisierten Objektivismus, weil ohne Rekurs auf die Genesis, die das subjektive Moment offenbart, das wissenschaftliche Resultat nicht mehr einsehbar ist, sodass es zum bloßen Glauben verkommt, als die es die Postmoderne behauptet, und weil die Abstraktion von der sinnlichen Erkenntnis und dem Experiment Wahrheiten zu Dogmen mutieren lässt, die nicht mehr nachprüfbar sind.

Heute korrespondiert der dogmatisierten Objektivität von wissenschaftlichen Resultaten der Methodenfetischismus und die Umwandlung von Wissenschaft in Technologie. Beide Aspekte ermöglichen die blinden Anwendung wissenschaftlicher Resultat, ohne dass die wissenschaftlichen Arbeitskräfte ein Selbstbewusstsein über ihr Tun erlangen können, also auch keine Möglichkeit haben, die soziale Funktion der wissenschaftlichen Tätigkeit in der kapitalistischen Gesellschaft zu durchschauen. Die Kritik an Spinozas Philosophie kann über den Fetischismus in der wissenschaftlichen Entwicklung aufklären.

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Letzte Aktualisierung: 31.08.2010