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 Rezension

Biopolitik

Aristoteles unterscheidet zwischen Natur (physis), die vom Menschen unabhängig existiert, und den menschlichen Produkten, die durch menschliches Handeln hervorgebracht werden, das durch den Verstand, Zwecke und Mittel sowie das Wollen (einen Begriff vom freien Willen als Vermögen kannte er noch nicht, wohl aber die Sache, die damit gemeint war) gekennzeichnet ist (Künstliches / techne). In Bezug auf den Menschen wird das Einüben von Techniken sowie ethischen Tugenden oder Lastern zum Habitus und damit zur „zweiten Natur“. Diese Differenzierung unterschlagen tendenziell solche Begriffe wie „Biomacht“, „Biopolitisierung“, „Biopolitik“, eine Terminologie, die auf Foucault zurückgeht und von Negri bis Seibert als affirmativer Begriff verwandt wird. Biomacht bedeutet nach Seibert „Machtstrukturen und Machttechnologien, mit denen die Kräfte des Lebens optimiert und ökonomisiert werden und im Leben der Unterschied zwischen nützlichem und überflüssigem Leben hervorgebracht wird“ (S. 196). Zwar weiß Seibert, dass die gemeinte Sache hervorgebracht ist. „Als Medien dieser Optimierung und Ökonomisierung des Lebens sind die Formen der Bevölkerung und des Individuums so wenig wie die der Klassen ‚natürlichen’ Ursprungs.“ (S. 30) Aber der unspezifische Begriff des „Lebens“, in dem auch Mikroben und andere Gattungen, die nicht der Macht der Menschen bzw. des Kapitals unterliegen, einbezogen sind, suggeriert, dass hierbei subjektlose Prozesse ablaufen. Eine Überschrift lautet: „Prozess ohne Subjekt“ (S. 167)

Biomacht, Biopolitik usw. sind Begriffe, die gesellschaftliche Verhältnisse und Sozialtechnologien biologisieren und damit naturalisieren – selbst da, wo sie kritisch gemeint sind. Sie verschleiern mehr die Problematik als dass sie diese aufklären. Sieht man Sozialtechnologien und Optimierungen der Arbeitskraft primär biologistisch, wie es diese Begriffe intendieren, dann geht das Besondere der sozialen Verhältnisse verloren: Nämlich ihr Wirken nur durch das Bewusstsein, die Psyche und den freien Willen hindurch. Wenn Menschen sich bewusst den Ansprüchen der Funktionäre der Kapitalherrschaft verweigern, bei Überstrapazierung mit psychischen Krankheiten reagieren oder auf Grund ihres freien Willens (der immer durch Vernunft bestimmt ist) sich zum Kampf gegen die kapitalistische Produktionsweise entscheiden, dann zeugt das davon, dass die Naturalisierung sozialer Verhältnisse falsch ist.

Die Biologisierung sozialer Technologien ist reaktionär auch da, wo sie kritisch gemeint ist, weil sie das spezifisch Menschliche verleugnet oder verschweigt. Sie bestätigt durch die Begrifflichkeit das, was der Kapitalismus aus den lebenden Menschen machen möchte: Seine völlige Subsumierung unter die tote Arbeit, das Kapital, die dann auch noch als natürliche erscheint. Wenn die herrschenden Verhältnisse – ob kritisch oder nicht – naturalisiert werden, dann bedeutet diese Naturalisierung: „Wenn sie als aus Natur folgend und nicht als aus Freiheit gesetzt angenommen wird, bedarf es keiner Legitimation der Herrschaft mehr.“ (Zunke: Hirnforschung, S. 187) Die Herrschaft wird selbst als etwas Natürliches oder als Seinsweise verklärt. Dieser Tendenz zur Biopolitisierung des Seins entspricht die ganze Ontologisiererei, die den Menschen das Spezifische, sein Subjektsein, die Vernunft und den freien Willen, abspricht.

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Wirklichkeitsanalyse bei Seifert

a. Der sachliche Grundfehler bei der Vorstellung
von Kapitalismus - Marx-Fälschung 1

Der Operaismus und ebenfalls Hardt/Negri gehen von der Behauptung aus, das Klassenverhältnis habe Vorrang vor dem Kapitalverhältnis (S. 39) und Seifert folgt ihnen darin. Im Klassenkampf als dem bewegenden Prinzip der Geschichte des Kapitalismus erklärten die nicht immer sichtbaren Bewegungen der Arbeiterklasse die des Kapitals und der kapitalistischen Gesellschaft, nicht etwa umgekehrt (vgl. Wörterbuch des Marxismus Bd. 5, S. 955 ff.). So passe sich das Kapital der Bewegung der Bevölkerung an, erzeuge aber nicht die Bevölkerung, die es brauche. Dies steht im Gegensatz zur Marxschen Bestimmung des Kapitals als „automatisches Subjekt“ (Kapital I, S. 169) und der Angleichung der Bevölkerung an die Bedürfnisse des Kapitals durch das Kapital. Bestreitet man die Wirkung des Kapitals als „automatisches Subjekt“ seines Verwertungsprozesses und der davon abhängigen kapitalistischen Gesellschaft, dann muss man auch die allgemeine Geltung des Wertgesetzes in dieser Produktionsweise bestreiten, da dies die Grundlage für diesen Automatismus, der sich durch den Willen der einzelnen Wirtschaftssubjekte hindurch Geltung verschafft, darstellt. Genau dies macht Seibert, indem er den „Hinfall des Wertgesetzes“ als „bedeutende Erweiterung der Kritik der politischen Ökonomie“ verkauft (S. 32).

Als Beleg für seine These führt er eine Stelle in den „Grundrissen“ von Marx an, in der Marx die organische Zusammensetzung des Kapitals thematisiert, ohne allerdings diesen Begriff bereits zu verwenden. Da die organische Zusammensetzung wachse, die Wissenschaft und der Fortschritt der Technologie immer bedeutsamer für die Produktion werden, sehe Marx die Möglichkeit einer Abschaffung der Wert- und Mehrwertproduktion (vgl. MEW 42, S. 600 f.). Seibert (mit Hardt/Negri) verfälscht nun diesen Gedanken von Marx, indem er den „tendenziellen Hinfall des Wertgesetzes“ (S. 39) bereits im Kapitalismus ansiedelt. Dagegen sagt Marx im selben Zusammenhang: „Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch (dadurch), daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andererseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt.“ (A.a.O., S. 601, Hervorhebung von mir) Das heißt, das Wertgesetz wirkt weiter, unabhängig von der organischen Zusammensetzung des Kapitals. Durch einfaches Nachschlagen lässt sich solch eine Fälschung offen legen – das zeigt die Unverfrorenheit und Fälscherei dieser ganzen Richtung.

Auch der Sache nach ist diese Umdeutung der Resultate der Marxschen Kapitalanalyse falsch: kein Kapitaleigner würde in technologisch hochgerüstete Maschinen investieren, wenn sie nicht von lohnabhängigen Arbeitern angeschaltet, beaufsichtigt, beliefert und repariert würden. Dass jedoch aus den Maschinen der Mehrwert entspringt, ist eine Ideologie. Es gibt keine Maschinen, die von sich aus produzieren – dies gilt auch für die automatische Produktion. Der Wert der Maschinen wird nach betriebswirtschaftlicher Rechnung auf das Produkt übertragen, sodass sich der Wert der Maschinen nach einer gewissen Zeit amortisiert, vom Arbeiter umsonst durch seine Mehrwert produzierende Arbeit zugleich reproduziert wird. Wenn Betriebe mit hochproduktiven Maschinen und weniger Arbeiter als bei der Konkurrenz mehr Profit erwirtschaften, dann liegt das nicht daran, dass der Profit aus den Maschinen oder der Technologie entspringt, sondern daran, dass die Masse des produzierten Mehrwerts und die Masse des Profits in einem Betrieb nur zufällig übereinstimmen: Betriebe mit produktiveren Maschinen ergattern einen Extraprofit auf dem Markt, während Betreibe mit weniger produktiven Maschinen Abstriche an Profit haben.

Die Produktion von wissenschaftlichen Resultaten und fortschrittlicher Technologie hat selbst die Mehrwertproduktion zur Voraussetzung; es sind faux fraise (Nebenkosten) der Kapitalproduktion, Abzug vom Mehrwert – entweder als Entwicklungskosten in den Forschungsabteilungen der Betriebe selbst oder als Übernahme von wissenschaftlichen Resultaten der staatlichen Universitäten, die über die Steuern finanziert werden, also auch teilweise Mehrwert enthalten; es sind Resultate, die in Form von Schemata, Gesetzen und Konstruktionsplänen vorliegen, Resultate der allgemeinen Arbeit (Wissenschaft), die sich das Kapital, einmal entwickelt, weitgehend kostenlos aneignen kann. (vgl. Bensch: Reichtum, S. 72 ff. und "Gegen Habermas" in diesen Erinnyen).

Nur Menschen haben die Fähigkeit Neues (wie Mehrwert) zu produzieren, weil ihnen „Kausalität aus Freiheit“ (Kant) zukommt. Allerdings wird ihnen diese produzierte Freiheit in Form des Mehrwerts abgenommen, sodass er sich gegen sie wendet als Reproduktion und Perpetuierung von Herrschaft. Bei Seibert und seiner Richtung gibt es jedoch keine Kausalität aus Freiheit, weil es keine Subjekte mit freiem Willen gibt. Sie müssen sich daher mystische Vorstellungen machen, woher der Mehrwert entspringt. Marx selbst hat diesen „anmaßlichen Kretinismus“, dass aus Maschinen Mehrwert entspringe, treffend am „Gurgelschneider Bill Sikes“ demonstriert, dieser Mörder hatte nämlich einst argumentiert: „Meine Herrn Geschworenen, diesen Handlungsreisenden ist allerdings die Gurgel abgeschnitten worden. Diese Tatsache aber ist nicht meine Schuld, sie ist die Schuld des Messers.“ (Zitiert nach Marx: Kapital I, S. 465)

Letztlich beruht die gesamte Fehlkonstruktion dieses heideggerschen, operaistischen, subjektlosen und illusionären aleatorischen Materialismus, soweit es um die ökonomische und gesellschaftliche Wirklichkeit geht, auf diesem ökonomischen Fehlschluss. Seibert kann sich dann einbilden, der Kapitalismus sterbe von selbst ab (vgl. S. 135).

Im Kapitalismus soll nicht nur die Kraft entstehen ("Proletariat"), die ihn beseitigt, sondern „’die Produktion einer alternativen Gesellschaftlichkeit’ in der Immanenz des Empire“ (S. 60). Solche illusionären Projekte und Vorstellungen hat es immer schon gegeben, von Owens Arbeiter-Fabrik über das Genossenschaftswesen bis hin zur scheinbaren autarken Hippie-Kommune. Was für einzelne ein Ausweg aus ihrem unerträglichen Lebensverhältnissen sein mag, muss als gesamtgesellschaftliche Alternative oder gar eine für die Weltgesellschaft scheitern, weil von der Dynamik der kapitalistischen Produktionsweise abstrahiert wird, weil diese nicht konsequent (mit der Marxen Kapitalanalyse) reflektiert wurde und weil deshalb falsche Bestimmungen wie der des „tendenzielle Hinfalls des Wertgesetzes“ (S. 34) zurunde gelegt wurden. Jede Genossenschaft („Transzendenz in der Immanenz“ bei Seibert) muss sich, wenn sie auf den Markt geht, dem Wertgesetz unterwerfen, sollen ihre Produkte Abnehmer finden. Will sie aber autark sein, dann ist dies nur – wenn überhaupt – unter den Lebensniveau des Pauperismus möglich. Es ist also in jedem Fall bloß illusionärer Revisionismus, was Seibert als Alternative zur Marxschen Strategie anstrebt.

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b) „Krise“ als apokalyptische Endzeit

Seibert argumentier wie unzählige kommunistische Propagandisten vor ihm: Er zählt das Elend in der Welt auf (Überakkumulation, die zur gewaltsamen imperialen Regulation führt, „Hunger-Genoizid“, „Überausbeutung“ des Proletariats der Schwellenländer, wobei man sich fragt, was der Maßstab für das „Über“ ist; materielles, soziales und subjektives Elend, „De-Sozialisierung(?) der Individuen“, „Biopolitisierung des Seins“ (S. 18 f.). Das alles wird bloß aufgezählt und soll qua seiner Faktizität den Leser für eine kommunistische Umgestaltung gewinnen oder in dieser Intention bestärken. Aus der ökonomischen Krise wird dann eine nihilistische Dynamik konstruiert, die zur Glaubenskrise führe, die schließlich „apokalyptische, d.h. endzeitliche Züge“ annehme - so etwas wird in Hollywood-Filmen besser dargestellt.

Nihilistische Vorstellungen entspringen nicht aus der Krise, sondern sind in der Struktur der kapitalistischen Ökonomie verwurzelt, zu der auch die Krise gehört. Seibert macht aus der Weltwirtschaftskrise 2009 eine „Krise des Empires“ (S. 21), d.h. der gesamten kapitalistischen Welt einschließlich ihrer Politik und Gesellschaft. Dabei ist eine Krise ein notwendiges Regulativ im Kapitalismus, ohne das eine kapitalistische  Marktwirtschaft gar nicht funktionieren könnte. Eine ökonomische Krise zeigt also die Stärke eines Systems an, das eben nicht in prästabilierter Harmonie durch eine invisible hand gesteuert wird (auch nicht durch das Sein Heideggers) – sowenig aus der Krise zwangsläufig ein Bruch oder ein Wahrheitsereignis folgt, das das „ganz Andere“ (S. 162) hervorbringt. Letztlich gesteht Seibert zumindest faktisch dies auch ein, wenn er schreibt: „dem entspricht, dass die Krise an der Front der sozialen Kämpfe bis jetzt ohne angemessene Antwort bleibt.“ (S. 19)

Aus einer periodisch wiederkehrenden ökonomischen Krise folgt auf dem heutigen Niveau der (wenn auch eingeschränkten) sozialen Absicherung und des erreichten massenhaften Wohlstandes in den Metropolen keine Revolution. Dafür bedarf es schon anderer Gründe – es sei denn die Krise nimmt soziale Ausmaße von Elend wie nach 1929 an.

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Letzte Aktualisierung: 27.08.2010